Als daher im Jahre 1942 die Sokal in die Schweiz reiste - es bleibt unerfindlich, wie es ihr bei ihrem
politischen Vorleben und als Ehefrau eines emigrierten Juden gelungen ist, die amtliche Bewilligung hierzu zu erhalten -, überbrachte sie im Einvernehmen mit Maier dem in Luzern lebenden
ehemaligen Jesuitenpater Dr. Karrer eine von Maier verfasste Botschaft folgenden Wortlauts:
'Das gemeinsame Leid hat die Gegensätze im österreichischen Volke überbrückt. Die Parteien, ob rechts oder links, finden sich auf einer gemeinsamen Plattform. Sie bejahen das unabhängige,
demokratische Österreich.
Wir sind bereit, in der Nachkriegszeit unseren Platz in der neugeordneten Völkerfamilie Europas einzunehmen, und warten, sobald die Stunde gekommen ist, auf euren Ruf."
Die Sokal lernte diese Sätze auswendig und teilte sie mündlich dem Dr. Karrer mit, der versprach, sie an den englischen Botschafter in Bern weiterzuleiten.
[...]
Auszug aus dem „Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon, Bd. 26“
MAIER, Heinrich, kath. Theologe, * 16. 2. 1908
Großweikersdorf, Niederösterreich, hingerichtet
am 22. 3. 1945 im Landesgericht Wien. –
[...]Besuch der Volksschule, 1918 des humanistischen Gymnasiums in St. Pölten und ab 1923 des Gymnasiums in Leoben (Stmk.), wo Maier im Juni 1926 maturierte. Am 9. 10. 1926 trat er in das Priesterseminar im 9. Wiener Bezirk ein und immatrikulierte im gleichen Jahr an der Universität, wo er bis 1928 Theologie studierte. Die Finanzierung seines Studiums ermöglichte ihm eine Verwandte, Gabriele Maier, eine überaus fromme und wohlhabende Frau, die ihn ein Leben lang unterstützte. – 1928 wechselte Maier, statt des erkrankten Studienkollegen Franz Loidl (BBKL XXII, 1993), zum "Pontificium Collegium Germanicum et Hungaricum" an der Universität Gregoriana in Rom, wo er scholastische
Philosophie studierte. Einer seiner damaligen Mitkommilitonen war der spätere Wiener Erzbischof Kardinal DDr. Franz König.
[...]Am 6. 7. 1929 schloss Maier in Rom sein Studium mit dem Zusatz "bene probatus"ab, sein Doktorat "(Laurea). c[um] laude prob[atus]" erhielt er lt. Matrikeleintrag am 16. 7. 1930. – [...]Danach kehrte er an das Priesterseminar nach Wien zurück, um neuerlich das Theologiestudium aufzunehmen. – Nach der Bestellung zum Lektor und Akolyth wurde er am 13. 3. 1932 zum Diakon und am 24. 7. 1932 im Wiener Stephansdom von Weihbischof Dr. Franz Kamprath, Kapitelvikar der Erzdiözese Wien, zum Priester geweiht. Seine Primizmesse hielt er am 31. 7. 1932 in der Pfarrkirche "St. Anton von Padua" in Wien-Favoriten, deren Gemeinde seine Eltern angehörten. Primizprediger war Dr. Alexander Poch, Studienpräfekt im Wiener Priesterseminar. – Anschließend Tätigkeit in Niederösterreich als Seelsorger; ab 1. 10. 1932 in der Pfarre Schwarzau im Steinfeld, dann in Reichenau und ab dem 1. 9. 1934 in Mödling, wo er die durch Tod des dortigen Pfarrers verwaiste Pfarrstelle verwaltete. [...] Seit 1936 war er auch als Religionslehrer tätig (Lehramtsprüfung 1938), er unterrichtete an der Technisch-Gewerblichen Bundeslehranstalt in Mödling, später in Wien am Realgymnasium des "Albertus-Magnus-Schulwerks" der Marienbrüder im 18. Gemeindebezirk. Maier war Präses der Marianischen Kinderkongregation, Ministrantenkaplan, Kurat des österreichischen Pfadfinderkorps St. Georg [...] Die eigene Erfahrung durch das Aufwachsen in materieller Not hatte ihn geprägt, sein besonderes Interesse galt daher nicht von ungefähr sozialen Zeitproblemen. Maier bestach durch Charisma und Begeisterungsfähigkeit, er verfügte über eine hohe Intelligenz und wissenschaftlich fundierte Ausbildung, interessierte sich für Kunst und Politik und fühlte sich seinem Heimatland innerlich stark verbunden. Kontaktfreude, gepaart mit einer herzlichen und offenen Persönlichkeit erschloss ihm viele Freundschaften quer durch alle Gesellschaftsschichten; sein besonderes Augenmerk galt jedoch der Betreuung und Erziehung von Jugendlichen zu unabhängigen und mündigen Persönlichkeiten; der Umgang mit ihnen war unkompliziert und kameradschaftlich. Maiers Predigten waren präzise formuliert und orientierten sich an den realen Problemen der Menschen, sie waren reich an theologischem und philosophischem Wissen, welches er plastisch darzulegen wusste. Er entsprach wohl kaum dem damaligen geistlichen Rollenbild; so war er häufig in Zivil anzutreffen, religiöses Pathos war ihm fremd; Maier war eben kein "Kerzerlschlucker", wie er selber betonte, dazu war er innerlich und geistig viel zu unabhängig. – Die politischen Veränderungen, die seit 1938 direkten Einfluss auf Österreich nahmen, beobachtete er mit gemischten Gefühlen.[...]Abschaffung des Religionsunterrichts verlor auch Heinrich Maier seine Stelle als Pädagoge. Diese und andere Ereignisse, verursacht durch das menschenverachtende NS-Regime, dürften zu Maiers späterem Widerstand geführt haben.
[...]Seit 1940 beschäftigte er sich intensiv mit dem Gedanken eines aktiven Widerstands; er sah sich als Intellektueller und Geistlicher in der Verantwortung, als Vorbild seinen persönlichen Beitrag für die Wiedererrichtung eines unabhängigen demokratischen Österreichs für die Zeit "danach" zu leisten. [...]Für den Aufbau einer eigenen Widerstandsgruppe, die später unter dem Namen "Maier-Messner" bekannt wurde, nahm er im Mai/Juni 1940 Kontakt mit deutschen Widerstandsgruppen
und katholischen Gewerkschaftern wie Jakob Kaiser auf, der wiederum Verbindung zu christlich-sozialen Widerständlern wie Felix Hurdes, Lois Weinberger und christlichdemokratischen Regimegegnern wie Adolf Schärf und Karl Seitz pflegte. [...]"Maier-Messner" wurde von Mitgliedern der eigenständig agierenden Widerstandsgruppe um den Ingenieur Walter Caldonazzi unterstützt.[...]– Inzwischen war seine Anverwandte Gabriele Maier dem Dritten Orden der Franziskaner beigetreten und hatte ihren ganzen Besitz verkauft, um Maiers Aktionen weiterhin finanziell unterstützen zu können. Sie bezahlte u.a. "Schweigegeld" für wankelmütige Personen im Umfeld Maiers, um dessen Verrat zu verhindern. Gleichwohl – vermutlich durch die Einschleusung eines Spitzels – wurden 1944 die Gruppen "Maier-Messner" und "Caldonazzi" zerschlagen. Am 15. Januar 1944 kam es zur Verhaftung Walter Caldonazzis und am 28. März wurde Heinrich Maier in der Kirche der Pfarre Gersthof festgenommen, in das Gestapo-Quartier am Morzinplatz[...]Die genauen Hintergründe, die zu den Verhaftungen und Zerschlagung der beiden Widerstandsgruppen führten, wurden nie ganz aufgeklärt. – Es folgten lange Verhöre und Folterung. [...]Nach monatelanger Untersuchungshaft begann am 27. Oktober der Prozess gegen ihn und neun Mitglieder der Gruppe. Die Anklage lautete: Aufbau einer Widerstandsgruppe zwischen 1942-1944 und damit Vorbereitung eines separatistischen Hochverrats. [...]Maier nahm letztendlich alle Schuld auf sich, um seine Mitangeklagten zu schützen. Das Todesurteil gegen ihn wurde am 28. 10. 1944 auf direkte Weisung aus Berlin vom Wiener Volksgerichtshof gefällt. Im November erfolgte seine Verlegung in das KZ Mauthausen – gemeinsam mit anderen österreichischen Widerständlern wie Leopold Figl und Lois Weinberger – wo man durch neuerliche Folterung weitere Geständnisse – erfolglos – zu erpressen versuchte.
[...] Am 22. 3. 1945, dem letzten Hinrichtungstag vor der Befreiung Wiens, wurde Maier vom ev. Gefängnispfarrer Hans Rieger, der aus dem Römerbrief 8,35-39 rezitierte, auf seinem letzten Weg zur Hinrichtung begleitet. (Diese Begebenheit wird u.a. im "Heinrich Maier Oratorium" szenischmusikalisch-kompositorisch verarbeitet, s.u.).Heinrich Maier wurde an diesem Tag – ebenso wie Hermann Klepell und Josef Wyhnal – durch das Fallbeil im Wiener Landesgericht hingerichtet. Seine letzten Worte waren: "Es lebe Christus, der König! Es lebe Österreich!" Die sterblichen Überreste der drei Hingerichteten wurden in einem Schachtgrab im Wiener Zentralfriedhof begraben und durch Freunde am 10. 5. 1945 auf dem Friedhof in Neustift am Walde in einem Ehrengrab bestattet[...] In Wien-Pötzleinsdorf gibt es seit 1949 eine nach Dr. Heinrich Maier benannte Strasse, 1995 wurde eine Zusatztafel angebracht. – Die Persönlichkeit und das Schicksal Heinrich Maiers blieben nicht ohne Einfluss auf zeitgenössische Künstler und ihre Werke – wie beispielsweise auf Ernst Degasperi (Entwurf der Dr.-Heinrich-Maier-Gedenktafel) oder Hans Schwabenicky, der mit einer Holzskulptur "Der Kopflose" (Kaplan-Heinrich-Maier-Statue) in der Pfarrkirche St. Leopold Maier ein Mahnmal setzte.
Der Komponist Gerald Spitzner, Großneffe Maiers, widmete ihm das "Heinrich Maier Oratorium",welches 1995 im Jahr der Toleranzim Wiener Landesgericht uraufgeführt wurde. – Archivalien und Dokumentation zu Heinrich Maier werden heute u.a. im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien und der Pfarre Wien-Gersthof aufbewahrt. –
Heinrich Maiers Handeln hat bis heute nicht an Gültigkeit verloren, basiert es doch auf elementaren moralischen Werten, der Auseinandersetzung zwischen "Anpassung und Widerstand, Machtausübung und Machtmissbrauch" und dem "Ausgleich von unterschiedlichen Interessen, die Grundlagen sozialer Ordnungen oder die Regeln eines Zusammenlebens" sind (vgl. Jagschitz, Rede, 6). Heinrich Maier steht als Symbol dafür, dass das Gewissen die letzte entscheidende Instanz des Einzelnen für das eigene Handeln ist und erinnert an die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben und die ihm anvertrauten Bereiche des sozialen Zusammenlebens (vgl. Schmitz, Die Botschaft, 44).
Werke: Der Kampf um den richtigen Kirchenbegriff im Spätmittelalter. Dargestellt an Hand von Marsilius von Paduas: 'Defensor Pacis' und Johannes von Torquemadas: 'Summa de Ecclesia', Diss. zur Erlangung des theologischen Doktorgrades an der Hochw. Theologischen Fakultät der Universität Wien, Wien 1939 (Sign.: 1226, 102 Bl. paginiert, Fachbibliothekder Kath.-Theolog. Fakultät d. Universität Wien)[...]
Ursula Rumpler, „Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bd. 26“